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Beitrag vom Dienstag, 27. Februar 2018

Norwegische Straßen – Eine Analyse

Reise ich über Norwegens Straßen, dann geht es mir wie vielen Einheimischen und Besuchern, ich weiß nicht, ob ich genervt sein, oder staunen soll. Einerseits sind viele Fahrbahnen schmal, wellig wie ein Waschbrett und durchaus mit so manchem Loch bestückt, andererseits gibt es gefühlt unendlich viele Tunnel, unglaubliche Brückenbauwerke und absolut geniale Verkehrslösungen. Wie passt das zusammen? Der Versuch einer Annäherung:

Die Grundlagen

Schweden und Deutschland sind Autonationen mit eigener Produktion und starker Lobby, Norwegen nicht. Während in anderen Ländern schon vor 70 – 80 Jahren ein starkes, gut ausgebautes Stammwegenetz existierte, fuhr man in Norwegen noch über Schotterpisten, von denen viele erst in den 1960er und 1970er Jahren eine feste Oberfläche erhielten.
Ganz im Gegensatz zu Schweden und Deutschland war Norwegen bis Ende der 1960er Jahre eines der armen Länder Europas.
Erst ab Ende der 1960er Jahre erfolgte ein massiver Ausbau der Infrastruktur. Zunächst, so war der Plan, sollten bis 1980 800 km Autobahn geschaffen werden. Dieser Plan wurde jedoch 1966 ad acta gelegt, zugunsten von Verbindungsstraßen im ländlichen Raum. Grundsätzlich ging es darum, erst einmal landesweit die verkehrstechnischen Basis zu schaffen, wohingegen diese z.B. in Schweden längst schon vorhanden war und man sich dort bereits der Verbesserung des Verkehrswegenetzes widmen konnte. Dementsprechend wurde in Schweden eine einheitliche Straßenbreite von 13 Metern festgelegt, in Norwegen jedoch erst einmal nur von 10 Metern. Ziel war es das Land, mit noch immer begrenzten technischen und finanziellen Mitteln, zunächst grundlegend zu erschließen, sprich Brücken und Tunnel zu bauen und so bisher nahezu unerreichbare Landesteile an das Straßennetz anzuschließen. Beispiele hierfür sind die Brücken zur Insel Runde, wo die Abwanderung gestoppt werden sollte, die gewagten Brücken- / Tunnel-Kombinationen zur Inselstadt Kristiansund und die endlos langen Tunnel nach Fjærland.

Einige Fakten

Norwegen hat die wohl schwierigste Topographie aller Länder Europas. Um die einzelnen Landesteile aneinander zu binden reicht es nicht, wie in Dänemark, Schweden oder Deutschland, ein paar Wege zu asphaltieren und mal den einen oder anderen Fluss zu überqueren. Berge müssen durchbohrt, Mahlströme überwunden und 1-3 Kilometer breite Fjorde gekreuzt werden. Selbst in Ostnorwegen, wo der Straßenbau noch vergleichsweise einfach ist, versperren hartes Gestein und tonnenschwere Felsbrocken den Weg.
Es verwundert daher nicht, dass Norwegen hinter Japan die meisten Straßentunnel weltweit besitzt, nämlich rund 1100. In Japan sind es um die 9800, allerdings ist das Verkehrswegenetz auch 13x länger. Deutschland besitzt lediglich 260 Straßentunnel, die Schweiz 363.

Der Nordkapp-Tunnel

Nur 14,6 % aller Tunnel wurden vor 1965 gebaut. Zwischen 1966 und 1985, als der Straßenbau an Fahrt gewann, entstanden 27,3 % aller Tunnel Norwegens (257 Stück). Zwischen 1986 und 1995 wurden 209 Tunnel gebaut (22,1 %), 1996 – 2005 waren es 165 Tunnel (17,5%), seit 2006 kamen 175 weitere hinzu (18,5%). Mehr als die Hälfte der Tunnel wurden also in den letzten 30 Jahren durch die Berge getrieben.
Insgesamt gibt es 17 Straßentunnel mit über 7 Kilometern Länge, der Längste, der Lærdalstunnel, misst 24,5 Kilometer und ist der längste Straßentunnel der Welt.
In Norwegen gibt es zudem 33 Unterseetunnel. Dabei wird eine Tiefe von bis zu 287 Metern unter dem Meer erreicht. 3 weitere Unterseetunnel folgen in den nächsten Jahren.
Noch ein Vergleich. In Norwegen gibt es insgesamt 800 Kilometer Tunnel, in Schweden sind es 19. In Deutschland belaufen sich die Tunnelkilometer auf 263.

Norwegens Autobahnnetz ist hingegen mit rund 514 km noch immer relativ kurz, wird nun jedoch sukzessive ausgebaut. In Schweden sind es etwa 2000 km, in Deutschland rund 13.000 km. Norwegen soll in den kommenden Jahren weitere 290 Kilometer Autobahn erhalten. Auf die Bevölkerungszahl umgerechnet wird diese Länge dann ungefähr jener der anderen genannten Länder entsprechen.

Die Anzahl von nicht kommunalen Brücken entlang von Überlandstraßen beläuft sich in Norwegen auf 16.700. Zum Vergleich, im deutlich bevölkerungsreicheren Deutschland sind es knapp 40.000 (2,4x mehr als in Norwegen), in Schweden 16.600.
Seit 1998 wurden in Norwegen knapp 1800 Brücken neu erbaut.
20 Brücken haben über einen Kilometer Länge, in Schweden sind es 18, wobei diese z.T. deutlich länger sind. Norwegens neue längste Brücke, mit 2 km Länge und 250 m hohen Pylonen, ist derzeit in Planung.

Norwegens Straßennetz misst 92.000 Kilometer. Jenes Deutschlands beträgt 644.000 Kilometer, ist also 7x länger, wobei Deutschland 16x mehr Einwohner hat als Norwegen.

Ein Hauptaugenmerk lag in den letzten Jahren auch auf der verkehrstechnischen Erschließung der Städte. Diese standen auf Grund ihrer beengten Lage regelmäßig vor dem Verkehrskollaps. Gigantische Tunnelsysteme und ein Ausbau von Radwegen und Nahverkehrssystemen sollen zukünftig Abhilfe schaffen.

Die heutige Situation

In den letzten Jahren wurde in den Straßenbau anteilig ähnlich viel investiert, wie in den skandinavischen Nachbarländern.

Im aktuellen Budget (2018) sind für das Verkehrssystem Norwegens 59 Mrd. NOK (rund 6,2 Mrd. Euro) veranschlagt. 23,1 Mrd. NOK (2,43 Mrd. Euro) für die Bahn und 35,9 Mrd. NOK (3,78 Mrd. Euro) für Straßen. Zum Vergleich sind es in Schweden insgesamt für Bahn und Straße rund 47 SEK (rund 4,7 Mrd. Euro). In Deutschland sind es (nur) 14,2 Mrd. Euro, davon 7,19 Mrd. Euro für Bundesfernstraßen.

Die Kosten für einen Kilometer Straße mit Mittelleitplanke sind in Norwegen rund doppelt so hoch wie im Nachbarland Schweden.

Norwegen besitzt im Verhältnis zur Einwohnerzahl von 5,2 Millionen mit rund 92.000 Kilometern eines der längsten Straßennetze der Welt. Fun Fact am Rande: das schwedische Wegenetz wird gerne mit 572.000 Kilometern angegeben, beinhaltet dann aber 430.000 Kilometer private (!), meist geschotterte Wege, die zu Gehöften im Wald führen (74.000 km mit staatlicher Unterstützung). Das öffentliche Straßennetz umfasst 140.800 Kilometer (bei rund 10 Mio. Einwohnern), wobei 18.400 km wiederum nur Schotterwege sind. Das private Wegenetz Norwegens beläuft sich auf 126.000 Kilometer.

Das äußerst beachtliche Verkehrswegesystem mit 92.000 Kilometern Straße, 21.000 Brücken und 1100 Tunneln ist kosten- und wartungsintensiv, zumal Wind und Wetter dem Straßenbelag extrem stark zusetzen. Enorme Schnee- und Regenmengen sind vom Asphalt ebenso zu tolerieren, wie Erdrutsche und ein steter Wechsel aus strengem Frost und Tauwetter.
Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Siedlungsstruktur. Dominieren in Schweden, Dänemark und Deutschland dicht bebaute Dörfer und Städte, liegen in Norwegen die einzelnen Häuser weit verstreut in den Tälern. Die in großer Zahl „im Wege stehenden“ Gebäude müssen so entweder abgerissen oder umfahren werden, was die Straße extrem kurvenreich werden lässt.

In den letzten Jahrzehnten konnte in Norwegen durch eine äußerst rege Bautätigkeit ein umfassendes Stammwegenetz geschaffen werden, das nun das Land zu einer verkehrstechnischen Einheit zusammenfügt. Die vorhandenen Gelder wurden dabei vor allem in den Bau neuer Tunnel und Brücken gesteckt. Ausbau und Asphaltierung vorhandener Wege kam dabei oft zu kurz.
In den kommenden Jahren muss vorhandene, oft kostengünstiger und vergleichsweise schnell errichtete Infrastruktur der 1990er Jahre saniert werden. Recht abenteuerlich in den Berg gesprengte Tunnel erhalten moderne Sicherheitsstandards, Brücken haltbare Leitplanken. In Stavanger wurde ein Institut erreichtet, das auf dem Gebiet der Tunnelsicherheit forschen soll.

Zahllose neue Projekte gibt es auch, wie der Welt tiefster Tunnel (über 400 Meter unter dem Meer), schwimmende Brücken und den mit 14 Kilometern längsten Unterseetunnel der Welt.
Trotzdem, der Verfall der vorhandenen Infrastruktur schreitet voran. Um ihn zu stoppen und den vorhandenen Straßenstandard weiter zu verbessern wären bis 2050 1000 Mrd. Kronen (105 Mrd. Euro) notwendig. Ein durchaus massives Problem. Auch müssten die aktuellen Investitionssummen nochmals gesteigert werden, um alle anstehenden Aufgaben meistern zu können. Derzeit sind bis 2029 Ausgaben in Höhe von 667 Mrd. NOK (rund 70 Mrd. Euro) geplant.

Eine verstärkte Nutzung von Ölgeldern für den Straßenbau ist nicht möglich. (siehe: Holländische Krankheit)

Beim Vergleich der Straßenqualität liegt Norwegen weltweit im hinteren Mittelfeld, steht also im Vergleich zu anderen westlichen Industrienationen schlecht da. Auffällig ist jedoch, dass Länder mit einem günstigen Verhältnis zwischen Einwohnerzahl (staatliche Einnahmen), Landesgröße (Kompaktheit), Klima (Frost/Hitze), Netzstruktur (Tunnel, Brücken etc.), Geschichte der Netzstruktur und Netzlänge meist oben in der Liste, Länder mit einem ungünstigen Verhältnis (Norwegen, Neuseeland, Australien, Estland, Lettland, Litauen, Island, Italien, Irland, Polen) weiter unten im Ranking zu finden sind. Eine Ausnahme bildet Kanada.

Quellen: Veitunneler, Unterseetunnel, trygg trafikk – dårlige veier, Österreich – Autobahn-Schulden, Enskild väg, Samferdel Norge, Straßennetz, geteerte Straßen Island, Investitionen Verkehrswege Deutschland,

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