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Beitrag vom Donnerstag, 07. Mai 2020

Coronavirus – Zwei skandinavische Strategien

Das Coronavirus hat uns alle im Griff, auf die eine oder andere Art und Weise.

Wie man nun dem Virus begegnen soll ist nach wie vor umstritten. Interessant ist es, zwei aus Skandinavien stammende Strategien zu vergleichen, die ich mal das „Norwegische Modell“ und das „Schwedische Modell“ nennen möchte.

Der Anfang

Zu Beginn wusste noch niemand (!), wie stark der „Feind“ sein würde. Das Wissen über das Virus und seine Gefährlichkeit war äußerst gering. Bekannt war nur, dass Menschen in großer Zahl sterben oder sterben können und es zu einer dramatischen Überlastung des Gesundheitssystems kommen kann.
Um dem Virusangriff zu begegnen, kristallisierten sich vier Strategien heraus.

1 Der totale Lockdown: Dieser wurde meist von Ländern mit einer sehr hohen Virusausgangslast, hoher Bevölkerungsdichte und einer Kultur des geringen sozialen Abstands gewählt. Meist griffen auch Länder auf Methode 1 zurück, die dem Virus zu lange alle Freiheiten gewährten, also nicht rechtzeitig reagierten. Der totale Lockdown ist also eine Art Panikreaktion, wird aber auch von Ländern angewendet die wissen, dass ihr Gesundheitssystem selbst einem geringen Ansturm nicht standhalten würde. Ein Beispiel hierfür ist Peru.

2 Ignoranz: Im Grunde verfolgen nur Brasilien, Nordkorea und Weißrussland diese Strategie. Diese Länder warten einfach ab was passiert.

Spannend wird es bei den Strategien 3 und 4.

3 Teilweiser Lockdown: Viele Länder verfolgen diese Strategie, unter anderem Deutschland, Österreich, die Schweiz, Dänemark und Finnland. Es gibt keine kompletten Ausgangssperren, aber das öffentliche Leben ist stark eingeschränkt. Auch Norwegen ist in dieser Kategorie zu finden, wobei das Land noch ein paar Dinge anders machte als andere Länder und ich daher speziell auf Norwegen eingehen möchte.
Der teilweise Lockdown hat das Ziel, die Kurve abzuflachen und den R-Wert auf unter 1 zu senken. Das Virus soll „ausgetrocknet“ werden.

4 Geringe Maßnahmen: Strategie 4 verfolgt Schweden. Die Kurve soll durch einzelne, nur wenige Maßnahmen leicht abgeflacht werden. Die Krankenhäuser werden zwar stark belastet, aber nicht überlastet. Eine schnelle Herdenimmunität ist perspektivisch möglich, wenngleich nicht erklärtes Ziel, da dafür eine hohe Infektionsrate notwendig ist, die wiederum das Gesundheitssystem schnell überlasten könnte. Strategie 4 ist also ein „Tanz auf Messers Schneide“, schont aber etwas mehr die Wirtschaft und die Psyche der Menschen. Letzteres vor allem dadurch, dass einzelne Maßnahmen nur Empfehlungen sind. Es wird darauf gebaut, dass die Bevölkerung sich selbst überwacht.

Situation in Norwegen und Schweden Anfang Mai

Schweden hat doppelt so viele Einwohner wie Norwegen und eine etwas höhere Bevölkerungsdichte, wenngleich diese im europäischen Vergleich noch immer sehr gering ist.

Im Vergleich zu Norwegen hatte Schweden am 6. Mai eine knapp 14x höhere Todesrate, 35x mehr Krankenhauspatienten mit Covid-19, 16x mehr Patienten auf Intensivstationen und 3x mehr Infizierte bei rund halb so vielen durchgeführten Tests.
Der R-Wert liegt in Norwegen bei rund 0,68, in Schweden bei rund 0,88.

Das norwegische Gesundheitssystem war nie einer starken Belastung ausgesetzt. Seit rund vier Wochen fallen die Infektions- und Todeszahlen. Immer weniger Menschen werden beatmet und immer weniger Krankenhauspersonal befindet sich in Quarantäne.

Das schwedische Gesundheitssystem ist seit dem 12. April einer sehr starken, dauerhaften (!) Belastung ausgesetzt, hält dem Druck jedoch stand.
Infektionszahlen und Todesraten schwanken von Tag zu Tag sehr stark, die Durchschnittswerte haben sich aber auf einem recht hohen Niveau eingependelt.

Das Norwegische Modell

Das Norwegische Modell geht davon aus, dass man es mit einem Virus unbekannter Kraft und Stärke zu tun hat. Um nun die Bevölkerung zu schützen und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden, setzt man auf bestimmte Maßnahmen die die Verbreitung des Virus stark hemmen und die Infektionskurve abflacht bzw. senkt. Nach dem Abflachen der Kurve erfolgte eine sanfte, aber kontinuierliche (!) Öffnung.

Dies bedeutet, dass man in Norwegen, analog zu Ländern wie Deutschland und Dänemark, zunächst versuchte, die Infektionskette durch Kontaktverbote, die Schließung von Grenzen, Schulen, Kindergärten, Sport- und Kultureinrichtungen, und Geschäften zu durchbrechen.
Reisen wurde stark eingeschränkt, unter anderem duften auch Freizeithütten nicht mehr aufgesucht werden. Der Grund hierfür war, dass die hytter meist in kleinen Gemeinden mit nur geringem medizinischem Angebot liegen. Bei einem Infektionsausbruch in einem Hüttengebiet bestand die Gefahr, dass die medizinische Versorgung nicht mehr gewährleistet werden konnte.
In Geschäften gelten Abstandsregeln, Kassierer werden durch Scheiben geschützt und es steht überall Desinfektionsmittel zur Verfügung.

Soweit die Ähnlichkeiten zu den Strategien in Deutschland.

Hier nun ein paar Unterschiede im Vergleich zu Deutschland, aber auch zu Dänemark und Schweden, die diese Strategie zum Norwegischen Modell werden lassen:

1) Lokale Quarantänemaßnahmen. Die Gemeinden in Norwegen besitzen relativ viel Macht. Einzelne Kommunen, vor allem Norden, setzten sich daher freiwillig in Quarantäne. Noch heute weisen einzelne dieser Regionen keinen einzigen Infektionsfall auf.

2) Viele Tests. Schon früh begann das Land Infektionsketten aufzuspüren und zu verfolgen, durch massive Tests. Auch das Gesundheitspersonal wurde bei Symptomen oder einem positiven Test aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Es wurde so ein Eintrag des Virus in Alten- und Pflegeheime in vielen Fällen verhindert. Es folgte später eine rasche Einführung einer Virus-App.

3) Restaurants mit Bedienung am Platz durften weiter geöffnet haben, insofern der Abstand zwischen den Gästen einen Meter betrug.

4) Etwas weniger strenge Kontaktverbote. Es durften maximal 5 Menschen gleichzeitig zusammen unterwegs sein.

5) Eigenverantwortung. Private Hütten durften ab 20. April wieder besucht werden, man setzte auf Eigenverantwortung, was sehr gut klappte. Der lokale Handel wurde so angekurbelt.

6) Sanfte Öffnung. Im Zuge der stark fallenden Infektionszahlen wurden viele Läden, speziell in Einkaufszentren, schon zu Ostern wieder geöffnet. Dadurch wurde der Einzelhandel gestärkt und der Osterhandel fiel so nur zum Teil aus. Abstandsregeln wurden eingeführt und werden weitestgehend eingehalten.

7) Viele lokale Aktionen fördern den Zusammenhakt. Es gibt laut hupende Autoparaden in den Orten, Autokinos und Auto-Konzerte. Maßnahmen wie diese stützen die Psyche der Bevölkerung und den Zusammenhalt.

8) Keine Maskenpflicht. Man setzt auf Eigenverantwortung bei der Einhaltung des Mindestabstands.

9) Forschung und Finanzen. Norwegen unterstützt mit großen Summen die internationale Forschung nach einem Impfstoff und entwickelt derzeit eigene Schnelltests.

Ein Drei-Stufen-Plan sieht die weitgehende Öffnung des Landes bis zum Sommer vor. Wichtig ist der Regierung, die Lockerungen schrittweise und kontinuierlich durchzuführen. Nicht zu schnell, nicht zu langsam.

Norwegen setzt also auf umfangreiche Tests,  eine Verfolgung der Infektionsketten, eine App, etwas mehr Eigenverantwortung und eine schnellere, dafür kontinuierlichere Öffnung.

Das Schwedische Modell

Das Schwedische Modell kann durchaus erfolgsversprechend sein, allerdings nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen:

a) Das Schwedische Modell kann den Schritt zurück in die Normalität weisen, nachdem das Norwegische Modell zur Anwendung kam.

b) Das Modell kann schon am Anfang der Viruswelle angewendet werden, wenn verschiedene Voraussetzungen gegeben sind. Diese sind:

1) Vernunft der Bevölkerung. – Die Menschen befolgen die Ratschläge.

2) Hohe Anzahl an Tests um Infektionsketten verfolgen zu können. Ggf. Virus-App.

3) Viel Pflegepersonal. Infizierte Pflegekräfte können zu Hause bleiben und ersetzt werden.

4) Es ist ausreichend Schutzausrüstung vorhanden.

5) Es sind genügend intensivmedizinische Betten, Fachärzte, Beatmungsgeräte und Medikamente vorhanden.

Meiner Meinung nach hat Schweden sein eigenes Modell zu einem falschen Zeitpunkt angewendet, denn die oben erwähnten Voraussetzungen waren in Schweden zu Beginn der Corona-Pandemie in keiner Weise gegeben.
Die Situation in Schweden stellte sich wie folgt dar:

1) Der Google Mobility Report legt nahe, dass auch viele Schweden Verkehrsknotenpunkte meiden und von zu Hause aus arbeiten. In Cafés und Kneipen und vor allem in Supermärkten herrscht jedoch nach wie vor ein relativ starker Andrang. Abstandsregeln in Geschäften wurden erst nach Ostern (!) umgesetzt.

2) Es wurden, vor allem zu Beginn der Pandemie, nur sehr wenige Tests durchgeführt. Die Infektionsketten konnten schon sehr früh nicht mehr nachvollzogen werden. Eine App sollte Ende April eingeführt werden. Wegen Problemen bei der Finanzierung und Programmierung wurde die Veröffentlichung jedoch auf unbestimmte Zeit verschoben.

3) Viele Alten- und Pflegeheime sind in privater Hand und haben nur wenig Personal. Dieses wurde meist nicht auf Covid-19 getestet. Um Personalengpässe zu vermeiden sollten nur Menschen mit schweren und eindeutigen Symptomen nicht zur Arbeit kommen.

4) In Schweden herrschte über Wochen hinweg ein eklatanter Mangel an Schutzausrüstung. Das Problem war deutlich stärker ausgeprägt als in Deutschland oder den Nachbarländern. Viele Pflegekräfte arbeiteten nahezu ohne Schutz.

5) Die Anzahl der intensivmedizinischen Betten wurde stark nach oben gefahren. Da es jedoch einen Mangel an Beatmungsgeräten, Schläuchen, Medikamenten und Ärzten gibt, kann bis heute ein Drittel der Plätze nicht genutzt werden. Teilweise werden ältere Patienten abgewiesen um Betten für jüngere Menschen zu reservieren.

Die hohe Todes- und Infektionsrate Schwedens ist also wahrscheinlich eben genau auf die oben angeführten Punkte zurückzuführen. Wenn nun aber genügend Tests durchgeführt werden können, Medikamente, Beatmungsgeräte, Schutzausrüstung, Pflegekräfte und Ärzte in ausreichender Zahl vorhanden sind und man mit der freiwilligen Einsicht der Bevölkerung zum Social Distancing rechnen kann, steht der Einführung des Schwedischen Modells, egal zu welchem Zeitpunkt, nichts im Wege.

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