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Beitrag vom Mittwoch, 16. September 2020

Der erste Kriminalroman der Welt

Die Beschreibung von Kriminalfällen lässt sich literarisch weit zurückverfolgen. Im Grunde bis hin zur biblischen Geschichte von Kain und Abel.
Die erste moderne Beschreibung eines realen Kriminalfalles stammt vermutlich aus der Feder Friedrich Schillers. „Der Verbrecher aus verlorener Ehre – eine wahre Geschichte“ gilt als Meilenstein der objektiven Berichterstattung.
Auch in China gab es schon im 16. und 17. Jahrhundert Kriminalgeschichten, z.B. „Hundred Cases of Judge Bao“.

Der Kriminalroman wie wir ihn heute kennen, ist fiktiver Natur. Ihn kennzeichnen drei Fragen, die nach dem Täter (wer?), dem Tathergang (wie?) und dem Motiv (warum?). Damit verbunden sind vier zentrale Punkte: 1. Das konkrete Problem. Eine Straftat (Mord), die aufgeklärt werden soll. 2. Der im Mittelpunkt stehende Detektiv (Ermittler). Dieser untersucht den Kriminalfall und klärt ihn auf. 3. Die Verdächtigungen. Diese richten sich gegen eine oder mehrere Personen, die sich später jedoch als unschuldig erweisen. 4. Die Aufklärung. Der Schuldige wird genannt und der Tathergang beschrieben.

Als der erste Autor von Detektivgeschichten gilt eigentlich der Amerikaner Edgar Allan Poe, dessen Erzählung „Der Doppelmord in der Rue Morgue“ im Jahre 1841 veröffentlicht wurde. Es fehlen bei dieser Geschichte jedoch noch einige zentrale Punkte, wie mehrere (unschuldige) Verdächtige und vor allem der Mord, denn am Ende stellt sich die Tat als Unglücksfall heraus. Auch geht es mehr um die Genialität des Detektivs, denn um das Verbrechen an sich. Daher wird gerne der Roman „The Notting Hill Mystery“ aus dem Jahre 1862 als erster Krimi genannt.

Doch egal ob man nun Poes „Der Doppelmord in der Rue Morgue“ aus dem Jahre 1841 oder „The Notting Hill Mystery“ von 1862 heranzieht, beide Erzählungen sind nicht die ersten ihres Genres. Diese Ehre wird einer Geschichte aus der Feder des Norwegers Maurits Christopher Hansen (1794-1852) zuteil. Diese erschien 1839 (gebunden 1840) und trägt den Titel „Mordet på maskinbygger Roolfsen, Criminalanecdot fra Kongsberg“ (Der Mord an Maschinenbauer Roolfsen, Kriminalanekdote aus Kongsberg).

Erzählt wird auf 110 Seiten vom gutaussehenden Maschinenbauer Roolfsen, der Ende des 18. Jahrhunderts in Kongsberg im Silberbergwerk arbeitete. Eines Herbstabends, nach dem Besuch der Gastwirtschaft im Bussedalen, verschwindet er spurlos. Das Gerücht von einem Mord verbreitet sich schnell in der Stadt, was den Beamten und Rechtsgelehrten Johannes Barth als aktiven Ermittler auf den Plan ruft und den Tathergang aufrollen lässt. Schnell richtet sich der Verdacht auf den Wirtshausbesitzer Herman Haitler und seinen Sohn, die vom Ableben Roolfsens einen klaren Vorteil haben. Doch die Ermittlungen dauern an und Kongsbergs oberster Beamter wird langsam ungeduldig, was zu einen Konflikt mit dem Ermittler Barth führt.
Eine Reihe von Ereignissen führen schließlich zum richtigen Täter, der durch einen nahezu unleserlichen Brieftext überführt wird.
Im Zuge des Kriminalromans erhält der Leser einen Einblick in die Kultur Ende des 18. Jahrhunderts. Zahlreiche Personen und ihre Lebensumstände werden aufgeführt, angefangen bei einer unglücklichen jungen Dame, über einen leicht verwirrten Pfarrer bis hin zu einem antiautoritären Apotheker.

Kriminalgeschichten gab es auch schon vor Maurits Hansens Roman. So z.B. Morderen med koldt Overlæg og dog en Mand, der fortjener Agtelse, et psykologisk Forsøg des Dänen Lauritz Kruse, 1801 veröffentlicht, und Richmond, or stories in the life of a Bow Street Officer von Thomas Skinner Sturr aus dem Jahr 1827. Geschichten dieser Art waren keine Krimis im eigentlichen Sinn, da sie nur Kriminalfälle schilderten, ohne jedoch einen krimitypischen, dramaturgischen Handlungsablauf aufzubauen.

Einem Krimi sehr nahe kommt die Novelle „Præsten i Vejlbye“ (Der Pfarrer von Vejlbye) des Dänen Steen Steensen Blicher, veröffentlicht im Jahre 1829. Es gibt einen Mord, mehrere Verdächtige und einen Spannungsbogen. Was fehlt, ist ein aktiver Ermittler. Zwar ist dieser mit dem Amtmann und Richter Erik Sørensen grundsätzlich vorhanden, nur tritt dieser aus persönlichen Gründen eher als Beobachter auf, an den Zeugen freiwillig herantreten, um ihre Sicht auf den Fall zu schildern. Sørensen fällt auf Grund der Indizien ein Urteil, das sich 20 Jahre später als falsch herausstellt, als sich der wahre Mörder, um sich von der Last der Schuld zu befreien, freiwillig zu erkennen gibt. Der Fall, der auf einer wahren Begebenheit beruht, also nicht wirklich fiktiver Natur ist, wird nicht wirklich detektivisch gelöst, es geht vielmehr um psychologische Verstrickungen. Sørensen berichtet von dem Fall in Form eines Tagebuchs, das lediglich 24 Seiten umfasst, also eher eine Kurzgeschichte ist.

Weiterhin existieren noch etwas ältere Kriminalgeschichten von Maurits Hansen, „Klosterruinen“ von 1825, ein historischer Roman mit Mord, „Novellen“ aus dem Jahr 1827, in dem ein Amateurermittler einen rätselhaften Mord mithilfe von Logik löst, „Den myrdede brudgommen“ (Der ermordete Bräutigam) von 1828, eine Art Thriller, und „Jutulskoppen. En norsk Kriminal-fortælling“ („Die Tasse der Riesen – Eine norwegische Kriminalgeschichte“), erschien im Jahre 1836. Die Erzählung trägt jedoch zu viele übernatürliche, phantastische Züge, um als eigentlicher Kriminalroman gelten zu können.

Letzten Endes ist es jedoch so, dass sich bestimmte Strukturen allmählich über einen längeren Zeitraum entwickeln. Insofern können dem modernen Kriminalroman drei Ursprungsländer zugeordnet werden: England, Dänemark und Norwegen.

Tags: Kriminalroman, Kriminalgeschichte, Krimi

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